Nach dem Kölner Demokratiefest: Reflektieren und nach vorne schauen
“Aus der Demokratie-Kundgebung in Köln gibt es viele Lehren zu ziehen. Jetzt ist es Zeit, zu reflektieren aber auch nach vorne zu schauen und die gemeinsamen Herausforderungen anzugehen”, erklärt Mustafa Yeneroğlu (AK Partei), Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der Großen Nationalversammlung der Türkei, anlässlich der öffentlichen Debatten rund um die Demokratie-Kundgebung in Köln. Yeneroğlu weiter:
“Die Demokratie-Kundgebung in Köln war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Weite Teile der Politik und Medienmacher haben eindrucksvoll gezeigt, dass sie auch nach über 50 Jahren Zusammenleben keinerlei Gespür und Feingefühl für das Empfinden der Türkeistämmigen in Deutschland entwickelt haben. Mit öffentlichem und polizeilichem Druck wurde versucht, die Menschen davon abzubringen, an der Kundgebung teilzunehmen. Teilnehmenden Vereinen wurde hinter vorgehaltener Hand mit Repressalien gedroht. Es wurden alle behördlichen Register gezogen, um die Veranstalter der Kundgebung zu schikanieren und gar zur Aufgabe zu drängen. Einen traurigen Höhepunkt bildete dabei die Untersagung einer Liveschaltung vom türkischen Staatspräsidenten. Die nicht nachvollziehbare juristische Absegnung durch das Bundesverfassungsgericht setzte dem Ganzen dann noch die Krone auf.
Von all diesen Entwicklungen hat sich die türkische Gemeinschaft nicht beeindrucken lassen. Ganz im Gegenteil hat sie mit der Teilnehmerzahl selbst die kühnsten Erwartungen der Veranstalter übertroffen und mit der herrschenden Volksfeststimmung ein Demokratiefest zelebriert. Irritiert ist sie aber trotzdem, weil sie sich durchaus bewusst ist, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Es ist noch in bester Erinnerung, dass die gleichen politisch Verantwortlichen und Medienmacher sich an Live-Zuschaltungen von PKK-Führern bei einer Kundgebung im Kölner Stadion nicht gestört haben. Mit dieser Art der Doppelmoral stößt man die Türkeistämmigen vor dem Kopf und entfremdet insbesondere die junge Generation von ihrer Heimat Deutschland.
Zehntausende Menschen haben sich parteiübergreifend am Sonntag für die Stärkung der Demokratie in der Türkei versammelt und friedlich demonstriert. Es waren Türken wie Kurden dabei, Tscherkesen wie Lazen, Sunniten wie Aleviten. Das gilt es zunächst einmal anzuerkennen und zu respektieren. Wer in diesem Kontext von gescheiterter Integration redet, hat den Zeitgeist unserer globalen Welt nicht verstanden.
Die Kundgebung hat darüber hinaus verdeutlicht, dass auch die Türkei sich viel besser erklären muss. Trotz der extrem ideologischen Berichterstattung großer Teile der Medien ist es uns offensichtlich nicht gelungen, diese Haltung zu durchbrechen und unser Anliegen in überzeugende Worte und Bilder zu fassen. Die Türkei ist einem militärischen und blutig durchgeführten Staatsstreich nur knapp entkommen. Eine wehrhafte Demokratie muss sich – wie überall auf der Welt – gegen diejenigen verteidigen, die sie bedrohen. Dabei gilt es auch der interessierten Öffentlichkeit im Westen mit noch mehr Nachdruck deutlich zu machen, das der türkische Rechtsstaat mit den eingeleiteten Maßnahmen im gesamten Staats-, Justiz-, Militär und Verwaltungsapparat die Wehrhaftigkeit seiner Demokratie festigt. Selbstverständlich ist Kritik an den als drastisch und bisweilen hart empfundenen, aus Sicht der Türkei aber notwendigen Maßnahmen legitim, diese sollte aber konstruktiv sein und auch die außerordentlichen Umstände im Angesicht eines blutigen Umsturzversuches würdigen. Mit dem gerade an den Tag gelegten Türkei- und Erdoğan-Bashing wird ein konstruktiver Austausch unmöglich und jeder Dialog im Keim erstickt.
Nun, wo die Kundgebung friedlich und vorbildlich zu Ende gegangen ist, sind alle Akteure aufgefordert, ein schonungsloses Fazit zu ziehen und nach vorne zu blicken. Die Dimension der deutsch-türkischen Beziehungen sind zu vielschichtig, als dass man sie mit weiteren Zuspitzungen und irrationaler Polemik weiter gefährden sollte. Wir sind in vielerlei Hinsicht eng miteinander verflochten, sei es historisch, wirtschaftlich, politisch und vor allem gesellschaftlich. Es gibt viele gemeinsame Herausforderungen, die nur mit vereinten Kräften gemeistert werden können. Dazu zählen die Stärkung der Partizipationsmöglichkeiten der Türkeistämmigen in Deutschland genauso wie der Kampf gegen den internationalen Terror oder die aktuellen Migrationsbewegungen sowie die Aufnahme und Versorgung der Flüchtenden. Nur wenn sich die Türkei und Deutschland in freundschaftlicher Verbundenheit begegnen, sind sie stark genug für die anstehenden Aufgaben. Was wir jetzt brauchen, ist eine vertrauens- und respektvolle Begegnung auf Augenhöhe und ein konstruktiver Dialog.”