Lieber Sigmar Gabriel,

adäquat wäre es gewesen, in beiden Sprachen in einer türkischen Zeitung zu antworten, aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten.

Es ist geradezu anrührend, aber auch entlarvend, dass sich der deutsche Außenminister in türkischer Sprache an seine „Mit“-Bürger in Deutschland wendet, um im türkisch-deutschen Beziehungsgeflecht für noch mehr Wirrwarr zu sorgen. Anrührend, weil er es trotz jahrzehntelanger Ermahnungen an uns, gefälligst Deutsch zu lernen, in türkischer Sprache macht, noch dazu im türkenfernsten auflagenstärksten Schmierblatt der Republik, der Bild. Entlarvend, weil die wortreich ausgeschmückte Ankündigung einer härteren Gangart gegenüber der Türkei dem „Osman“-Normalbürger wohl erklärt werden muss, weil man selbige im Umgang mit Parade-Demokratien wie Ägypten, Saudi-Arabien und Afghanistan nicht für notwendig erachtet.

Entlarvend aber auch, weil Sigmar Gabriel sich nicht nur im Namen der deutschen Bundesregierung an die in Deutschland lebenden Türken richtet, sondern darüberhinaus auch als oberster türkischer Strafverfolger, der quasi schon per nationaler Zugehörigkeit entscheiden kann, ob jemand schuldig ist oder nicht. Freundlich im Ton, erklärt er Deutsch-Türken, wie er der türkischen Regierung und der Justiz wie selbstverständlich jegliche Kompetenz abspricht. Mit der Selbstgefälligkeit eines Kolonial-Gouverneurs werden ungeheuerliche Vorwürfe aneinandergereiht in der Hoffnung, dass hierfür Verständnis aufgebracht wird, weil es ja immerhin Deutschland ist, das als „lupenreiner“ Gralshüter europäischer Werte, selbige gegenüber der Türkei erhebt.

Völlig ausgeblendet bleibt, dass in der gleichen Zeitung beinahe täglich gegen die Türkei und die in Deutschland lebenden Türken polemisiert wird, um das böse Wort „Hetze“ nicht zu gebrauchen. Die augenblickliche gesellschaftliche Stimmung verdeutlicht eindrucksvoll den Erfolg dieser Art von Berichterstattung.

Dass sich das geistige Niveau des Briefes erstaunlich schnell auf dem der Zeitung einpendelt, zeigt sich mit der unverhohlen formulierten Drohung, wirtschaftliche Hilfen und Bürgschaften für die Türkei zu stoppen, ohne die Größenordnung zu beziffern. Nur so kann man den Eindruck eines kranken Mannes, der am Tropf Deutschlands hängt, aufrecht erhalten, wohlwissend, dass sich die Bundesrepublik mit der Einstellung von sogenannten Wirtschaftshilfen und Hermesbürgschaften ins eigene Fleisch schneiden würde, weil man so die Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei nachhaltig gefährden würde. Spitzenfunktionäre der deutschen Wirtschaft haben im Übrigen schon begonnen, diesem „Wirtschafts-Harakiri“ zuvor zu kommen. Auch fällt es einem normaldenkenden Menschen schwer, die ausgesprochene Defacto-Reisewarnung des Außenministers nachzuvollziehen, da man ja bis vor kurzem selbst Afghanistan für eine sicheres Land hielt und Millionen von deutschen Touristen bestätigen können, dass es in der Türkei anders zugeht als in Kabul oder Masar-e Sharif.

Man kann es mögen oder nicht, aber das bilaterale Getöse gehört wohl zu den „Nebenwirkungen“ des Wahlkampfes, der sich in Deutschland in der heißen Phase befindet. Ähnlich wie in Holland, versucht wohl diesmal die deutsche Sozialdemokratie mit „Türkeibashing“ die Stimmung in Deutschland zu ihren Gunsten zu kippen. Komisch nur, dass alle anderen Parteien dieses Instrument auch schon entdeckt haben und somit der Erfolg zweifelhaft bleibt.

Nicht nur, dass es mit dem NSU-Vertuschungskomplex, den zahllosen Angriffen auf Moscheen und Flüchtlingsheimen, der rechten Hetze gegen Migranten und Flüchtlinge, der Kriminalisierung von islamischen Religionsgemeinschaften, dem verbreiteten institutionellen Rassismus, der Ignoranz gegenüber türkischen Sicherheitsinteressen oder der offensichtlichen Tatenlosigkeit gegenüber Terrororganisationen, eine Vielzahl von gewichtigen Themen gegeben hätte, mit denen man sich an die türkeistämmige Bevölkerung hätte richten können, setzt man mit der neuen deutschen Außenpolitik über deutsche Zeitungen, offensichtlich aus wahltaktischem Kalkül, eine jahrhundertealte Freundschaft und das Wohl von untrennbar miteinander verwobenen Völkern aufs Spiel.

Irgendwann nach den Wahlen wird sich der Rauch dieser politischen Nebelkerzen lichten und alle Akteure werden sich wieder in die Augen schauen müssen. Allein schon aus den Notwendigkeiten internationaler Politik werden beide Seiten auch wieder miteinander kommunizieren. Ob die gesellschaftlichen Wunden ähnlich schnell verheilen, steht dahin. Das wird wieder eine Herausforderung für diejenigen sein, die, auch in diesen Tagen, nicht aufgegeben haben, sich unermüdlich für die türkisch-deutsche Freundschaft einzusetzen.

Ihr

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