Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP, glaubt, dass die bilateralen Beziehungen durch die Inhaftierung des deutschen Journalisten Deniz Yücel belastet werden. Gleichzeitig betont er die besonderer Situation des Landes.

Herr Yeneroglu, welchen Stellenwert hat die Meinungsfreiheit in der AKP?

Die Türkei ist Mitglied des Europarates, erkennt die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte an und setzt sie um. Doch gab es bis zur Übernahme der Regierungsverantwortung durch die AKP eine unübersehbare Diskrepanz zwischen verfassungsrechtlichem Anspruch und gelebter Realität. So verbüßte der jetzige Staatspräsident Erdogan noch 1999 eine vier monatige Haftstrafe für das bloße Vortragen eines Gedichts, das man in jedem Schulbuch nachlesen konnte. In diesem Sinne war und ist es die AKP, die mit mutigen politischen Reformen Grund- und Freiheitsrechten den ihnen gebührenden Stellenwert in der Türkei eingeräumt hat.

Sie haben die Inhaftierung Deniz Yücels dennoch als „sehr kritisch“ bezeichnet. Warum?

Ich sehe die Gerichtsentscheidung kritisch, weil ich basierend auf den bisherigen Berichten denke, dass in Bezug auf die Unterstützung der Terrororganisation der Propagandabegriff zu weit ausgelegt worden ist. Was Herrn Yücel sonst vorgeworfen wird, ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Letztlich wird ein Gericht über die Vorwürfe entscheiden.

Werden Terroristen, die Menschen ermordet haben, und Journalisten wie Yücel rechtlich auf eine Stufe gestellt? Wie wird juristisch abgewogen?

Natürlich nicht. Wie abgewogen wird, ist Sache der Gerichte. Wäre Deutschland vom Terror ähnlich betroffen, gäbe es sicher auch ähnliche Diskussionen. Dennoch, die Werbung für Terrororganisationen steht auch in Deutschland unter Strafe. Ich möchte betonen, dass ich dies Deniz Yücel nicht vorwerfe.

Wie sind die Reaktionen zu dem Fall in der Türkei?

Es gibt selbstverständlich auch eine kritische und kontroverse Debatte in der Türkei, wobei im Fall Yücel, aufgrund seiner deutschen Staatsbürgerschaft, die deutsch-türkischen Beziehungen unmittelbar betroffen sind und diese in einem ohnehin schon schwierigen
Umfeld einer weiteren Belastungsprobe ausgesetzt werden. Auf der anderen Seite ist die türkische Öffentlichkeit aufgrund einer Vielzahl von Terroranschlägen in den letzten Monaten natürlich äußerst sensibel, zumal Deutschland meiner Meinung nach auch nicht unbedingt
entschieden gegen die PKK-Strukturen in Deutschland vorgeht.

Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel haben den Haftbefehl ungewohnt scharf kritisiert. Welche Folgen könnte das .ür die deutschtürkischen Beziehungen haben?

Selbstverständlich können Kanzlerin Merkel und der Außenminister Kritik an der Gerichtsentscheidung üben. Diese muss aber sachlich bleiben und darf, wie im aktuellen Fall Yücel, eben auch nicht verkennen, dass die Haftentscheidung von einem unabhängigen Gericht und nicht von der türkischen Regierung gefällt wurde.

Wird der Terrorbegriff Ihrer Meinung nach in der Türkei zu weit ausgedehnt?

Die Türkei ist immer wieder das Ziel terroristischer Anschläge. Hunderte Zivilisten, Soldaten und Polizisten wurden allein in den letzten Monaten Jahr Opfer dieser Mörder und tausende wurden verletzt. Insofern stehen Regierung, Sicherheitskräfte und Justiz in der Verantwortung, dieser Bedrohung Herr zu werden. Es gilt, neben der Verhinderung weiterer Anschläge, auch den terroristischen Sumpf trocken zu legen. In solch einer aufgeladenen Situation kann es natürlich immer wieder zu vorübergehenden Überreaktionen kommen. Sowohl Politik als auch Gerichte sind Teil dieser Dynamik, nicht nur in der Türkei.

Glauben Sie an eine politisch unabhängige Entscheidung des zuständigen Haftrichters?

Gerade dieser Haftbefehl verdeutlicht doch, ob seiner offensichtlichen Implikationen auf das ohnehin belastete deutsche-türkische Verhältnis, dass sich die unabhängige türkische Justiz nicht von tagesaktuellen Debatten beeindrucken lässt.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Deniz Yücel als Journalist?

Deniz Yücel hat sich meiner Meinung nach schon immer mehr als Aktivist denn als Journalist hervorgetan, insbesondere seit er Türkei-Korrespondent der Welt-Zeitung ist. Ich habe den Eindruck, dass er sich als Revolutionär gefällt. Dennoch tut es mir leid, dass er in Haft ist. Grundsätzlich halte ich die Anwendung der Untersuchungshaft, aber auch die lange Dauer für äußerst problematisch.

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