Pauschale Zurückweisung der PKK-Vorwürfe überrascht – Faktenlage eindeutig

"Es überrascht, dass die PKK-Vorwürfe in Deutschland Irritationen hervorrufen. Sämtliche Informationen stammen aus offiziellen Regierungsdokumenten der BRD", erklärt Mustafa Yeneroğlu, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der Großen Nationalversammlung der Türkei, anlässlich des Besuchs von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in der Türkei. Yeneroğlu weiter:

"Dass die PKK-Vorwürfe in Deutschland Irritationen hervorrufen, wird in der Türkei mit großer Verwunderung aufgenommen. Schließlich sind sämtliche Vorwürfe aus offiziellen Dokumenten der Bundesrepublik entnommen. In Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder ist explizit aufgeführt, dass Deutschland der PKK als Rückzugs-,[1] Rekrutierungs-,[2] und Finanzierungsraum[3] dient. Informationen aus eigenen Berichten pauschal abzustreiten ist doch seltsam. Der Bundesverfassungsschutz selbst stellt explizit fest, dass Europa 'für die PKK einen 'sicheren Hafen''[4] darstellt, entgegen dem Bestreiten des Bundesaußenministers.

Aber auch die tägliche freie Propaganda[5] der PKK in Deutschland ist ein Nachweis dafür, dass die PKK in Deutschland zwar offiziell verboten ist, dies aber in der Praxis kaum Wirkungen hat. Folgeorganisationen,[6] die de jure vom Verbotstatbestand umfasst sind, dürfen ungehindert agieren, demonstrieren, für die PKK werben[7] - mehr als ein hundert Organisationen bundesweit.

Dass auch der Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die Vorwürfe zurückweist, ist bezeichnend für die Haltung im Umgang mit PKK-Organisationen. Das zeigt sich schon an den Fakten, die allesamt aus Bundestagsdrucksachen entnommen sind: Bei 4.400 anhängigen Ermittlungsverfahren (Stand 07.01.2015),[8] wurden nur acht Strafverfahren gegen neun Personen geführt. Hierbei endeten nur fünf Strafverfahren gegen sechs Angeklagte mit Freiheitsstrafen (Stand 27.01.2016).[9] Angesichts dieser Faktenlage zu behaupten, man würde die PKK ernsthaft bekämpfen, wo doch schon im Verfassungsschutzbericht 14.000 Mitglieder erwähnt sind, ist tatsächlich irritierend.

Aber auch die Medien in Deutschland kommen ihrem eigenen Anspruch, kritisch zu sein, nicht nach, sondern fabulieren pauschal von 'unhaltbaren Beschuldigungen'[10] (FAZ) oder belassen es dabei, dass Herr Steinmeier 'seinen Gastgebern offen widersprochen'[11] (SZ) habe. Wer nach einem Mindestmaß an journalistischer Sorgfalt sucht, sucht vergeblich. Auch das führt in der Türkei selbstverständlich zum Befremden und entsprechenden Reaktionen.  

Überhaupt kommen die Vorwürfe bezüglich des Umgangs mit der PKK in Deutschland in den Medien allenfalls in belächelter Form zutage. Durch die einseitige mediale Darstellung bekommen die wenigsten Menschen in Deutschland mit, welches Leid die Türkei gegenwärtig durch den Terror erfährt. Die täglichen Terroropfer sowie das Leid der Hinterbliebenen werden in der Berichterstattung weitestgehend ausgeblendet. Und unsere Gäste aus Deutschland solidarisieren sich mit Politikern, die zwar nicht in der Lage sind, den Terror der PKK beim Namen zu nennen und diese zu verurteilen, aber sehr wohl regelmäßig anstelle der Opferfamilien die von Terroristen besuchen!

Dennoch: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier genießt in der Türkei zu Recht hohes Ansehen. Wenn er sagt, dass Deutschland und die Türkei mehr als eine Beziehung im Hier und Heute verbindet, ist ihm zuzustimmen. Das darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Vor allem sollte die deutsch-türkische Freundschaft mehr wiegen als der gegenwärtige Anschein es vermuten lässt.

In diesem Sinne muss die pauschale Zurückweisung der Vorwürfe kritisch hinterfragt und die Praxis deutscher Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften auf den Prüfstand gestellt werden. Politisch Verantwortliche aus Deutschland müssen sich ernsthaft fragen, welches Bild sie in der türkischen Öffentlichkeit vermitteln, wenn sie im Kampf gegen den Terrorismus der Türkei nur verbal zur Seite stehen. Es täte sicherlich gut, wenn sie zur Abwechslung auch mal Opferfamilien besuchen und deren Leid erfahren. Auch sollten sie ihre Haltung bitte mal vor dem Hintergrund reflektieren, dass nicht die Türkei sondern Deutschland von alldem betroffen wäre."

 

[1] Verfassungsschutzbericht Berlin, 2015, s. 78: „Deutschland stellt für die PKK einen Rückzugs- und Rekrutierungsraum dar…“

[2] Bundesverfassungsschutzbericht 2014, s. 125: „Rekrutierung für die Guerilla: Sowohl durch den Medienapparat der PKK (Zeitschriften, Fernsehsender etc.) als auch im Internet wurden Jugendliche offen und gezielt für eine Teilnahme am bewaffneten Kampf geworben.“; Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 2015, s. 113: „Selbst während des Friedensprozesses in der Türkei bis zum Sommer 2015 hatte sich die PKK noch darum bemüht, Jugendliche für den Einsatz bei ihrem militärischen Arm (HPG) zu gewinnen.“

[3] Sonderpublikation Bundesamt für Verfassungsschutz, Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), 2014, s. 6, 38 ff; Bundesverfassungsschutzbericht 2015, s. 218

[4] Bundesamt für Verfassungsschutz, Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), 2014, s. 38

[5] Bundesverfassungsschutzbericht 2015, s. 216 ff.

[6] Ausführlich in allen Verfassungsschutzberichten zur PKK, siehe auch Verfassungsschutzbericht Bayern, s. 78 ff.; Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2015, s. 147; Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 2015, s. 107  

[7] Bundesverfassungsschutzbericht 2015, s. 218: „Darüber hinaus bedient sich die Partei der überwiegend örtlichen kurdischen Vereine, die von der PKK-Anhängerschaft als Anlaufstellen und Treffpunkte genutzt werden. Als Dachverband der Vereine fungiert das „Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V.“ (NAV-DEM)“

[8] Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode, Drucksache 18/3702, s. 3 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/037/1803702.pdf)

[9] Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode, Drucksache 18/7372, s. 3 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/073/1807372.pdf)

[10] FAZ, 16.11.2016, s. 10

[11] SZ, 16.11.2016, s. 4